salzig oder seidenweich
Adjektive sind in der Sprache das Salz in der Suppe. Sie würzen den Text. Zu viele Adjektive machen den Text ungenießbar – zu wenige machen ihn schal.
Die „richtige“ Anwendung von Adjektiven ist gar nicht so einfach. Es gibt Tausende davon und woher soll ich wissen, welches das Passende für mich ist?
Ein Adjektiv will probiert werden wie ein neues Kleid. Ich suche mir eines aus und gehe damit in die Ankleide. Dann schaue ich im Spiegel, ob es mir passt. Am besten, ich präsentiere das neue Adjektiv meiner besten Freundin, die mich beim Adjektiv-Shoppen begleitet. Sie sagt mir, ob mir das Adjektiv steht oder nicht. Ich vertraue ihrem „Nö, lieber nicht.“ Denn meine Freundin weiß auf den ersten Blick, ob mir etwas steht oder nicht. Zum Beispiel rümpft sie schon die Nase, wenn ich in die Nähe einer „flippigen Bluse“ oder eines „klassischen Blazers“ komme.
Was ist ein Adjektiv?
Ein Adjektiv beschreibt „ein Wesen oder Ding, ein Geschehen, eine Eigenschaft oder einen Umstand als mit einem bestimmten Merkmal, mit einer bestimmten Eigenschaft versehen (…) ; Eigenschaftswort (z. B. bunt, fatal, schön). Es ist das „Hinzugefügte“.
In der im Deutschen gebräuchlichen „Zehn-Wortarten-Lehre“ steht es nach dem Substantiv und dem Verb an dritter Stelle und macht ein Sechstel des gesamten deutschen Wortschatzes aus. Die Art, wie Adjektive sprachlich verwendet werden, ist komplex.
In der mündlichen Kommunikation – also in Gesprächen und Unterhaltungen – genügt ein laxer Umgang: „Wie war dein Urlaub?“ „Schön, vielen Dank.“ „Wie war das Wetter?“ „Das Wetter war gut. Ideal zum Wandern.“ „Wie geht es dir?“ „Gut, danke.“ Hier zu antworten „Oh, es geht mir fantastisch“, wäre ein wenig zu dick aufgetragen. In der mündlichen Rede halten wir uns eher zurück, weil wir beim persönlichen Gegenüber Grenzen wahren. „Der Urlaub war super! Unser Hotel war erstklassig und der Strand einfach himmlisch!“ wäre auch eine denkbare Variante – geäußert eher in einem geschützten Rahmen unter Freunden oder in der Familie.
Geschrieben verdienen Adjektive mehr Aufmerksamkeit als im gesprochenen Wort. Im Text, egal ob Werbetext, Mail oder in der Produktbeschreibung, sind sie verantwortlich für den Gesamteindruck. Stolpern wir bereits am Anfang einer Lektüre über eine zu große Anzahl an Adjektiven, verlieren wir schnell das Interesse. Alles wird vorweggenommen. Wir kommen nicht mehr dazu, uns selbst ein Bild zu machen.
schön, bunt, himmelblau, seidenweich
Neben den „normalen“ Adjektiven wie schön und bunt gibt es eine große Anzahl von zusammengesetzten Adjektiven: Komposita. Sie spezifizieren zum Beispiel blau mit himmelblau, gelb mit senfgelb und grün mit grasgrün. Oder sie intensivieren zum Beispiel jung mit blutjung, dumm mit strohdumm oder weich mit seidenweich. Komposita bieten sich an, wenn Kreativität gewünscht ist.
Spezifizierende Adjektive wie polarweiß, platinblau und graupelgrau werden gerne von Farbmixern verwendet; die Modebranche verbindet Farben mit Früchten wie mangogrün, beerenrot und pflaumenblau.
Intensivierende Adjektive sind das A und O von Werbespots: megagut, superfrisch und extrabillig.
Weniger Adjektiv ist mehr
Zwei Adjektive reichen zur Beschreibung einer Sache aus. Am besten wählen wir nur eines, das wir uns im allgemeinen Sprachgebrauch am besten merken können.
„Farbenfrohe, elegante und pflegeleichte Hüte sind der neue Trend in diesem Herbst.“
Besser: „Farbenfrohe Hüte sind der neue Trend in diesem Herbst.“
Adjektive malen Bilder
Adjektive sind dazu da, ein konkretes Bild zu erzeugen. Unser Gehirn malt eine bildhafte Vorstellung des beschriebenen Gegenstands und präsentiert uns einen farbenfrohen Hut. Das Ergebnis fällt bei jeder Person anders aus, aber das macht nichts. Es gibt ja auch eine Menge an unterschiedlichen farbenfrohen Hüten.
No-go-Adjektive bei Produktbeschreibungen
super, toll, in, einzigartig, schön, wunderschön, atemberaubend, traumhaft, trendig, exklusiv, modern, erstklassig, zauberhaft ….
Diese Adjektive sind hohl und bedeutungslos. Sie haben aufgrund inflationärer Nutzung keine Funktion mehr. Außerdem geben sie nur die Bewertung ihres Anbieters wieder – dabei möchten wir uns doch selbst ein Bild machen.
Das Angebot eines Reiseanbieters macht das deutlich:
„Im beliebten Urlaubsort Unterried im wunderschönen Tirol begrüßt Sie das exklusive 4-Sterne-Hotel Michaelle. Das absolute Highlight ist der ausgedehnte Wellnessbereich mit seinem modernen Ambiente.“
Als abgespeckte Version ist das Angebot leichter verdaulich:
„Im Urlaubsort Unterried in der Tiroler Berglandschaft begrüßt Sie das 4-Sterne-Hotel Michaelle. Sein umfangreicher Wellnessbereich lädt Sie zum Verwöhnen ein.“
Das individuelle Adjektiv
Die Suche nach dem passenden Adjektiv lohnt sich. Es entspricht dann dem persönlichen Stil und setzt sich von der Masse ab. Meistens liegen diese Adjektive direkt vor unserer Nase. Denn sie beschreiben die Menschen, die unser Angebot oder Produkt nutzen.
- Für eine Reiseveranstalterin können das sein: abenteuerlustig, weitgereist, weltgewandt, zielsicher, bunt, erholsam, vergnüglich, nachhaltig, ruhig, weitläufig, freundlich … usw.
- Mögliche Adjektive für eine Heilpraktikerin sind: einfühlsam, erfahren, aufmerksam, harmonisch, vorsichtig, diskret, zurückhaltend, ganzheitlich …. usw.
- Ein Finanzdienstleister geht mit folgenden Adjektiven an die Öffentlichkeit: sicher, etabliert, effizient, effektiv, zielsicher, souverän, solide, erfahren, zielorientiert, transparent, offen, professionell, kompetent … usw.
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Die schreckliche deutsche Sprache
„Wenn Sie ein Adjektiv sehen, bringen Sie es um.“
Mark Twain (1835-1910) in einem Brief an D.W. Bowser.
Adjektive sind für Muttersprachler/innen im Alltag scheinbar einfach anzuwenden – sie fließen wie von selbst aus dem Wortschatz in die gesprochene Sprache. In der Grammatik erweisen sich Adjektive als komplizierte Angelegenheit. Mark Twain hat als der meistzitierte Kritiker dazu geschrieben:

„Es gibt ganz gewiss keine andere Sprache, die so unordentlich und systemlos daherkommt und dermaßen jedem Zugriff entschlüpft. Aufs Hilfloseste wird man in ihr hin und her geschwemmt, und wenn man glaubt, man habe endlich eine Regel zu fassen bekommen, die im tosenden Aufruhr der zehn Wortarten festen Boden zum Verschnaufen verspricht, blättert man um und liest: „Der Lernende merke sich die folgenden Ausnahmen.“ Man überfliegt die Liste und stellt fest, dass es mehr Ausnahmen als Beispiele für diese Regel gibt. Also springt man abermals über Bord, um nach einem neuen Ararat zu suchen, und was man findet, ist neuer Treibsand.“
Nun zum Adjektiv. Hier haben wir einen Fall, in dem Einfachheit ein Vorzug gewesen wäre, und nur aus diesem und aus keinem anderen Grund hat der Erfinder das Adjektiv so kompliziert gestaltet, wie es eben ging. Wenn wir in unserer eigenen aufgeklärten Sprache von unserem „good friend“ oder unseren „good friends“ sprechen wollen, bleiben wir bei der einen Form, und es gibt deswegen keinen Ärger und kein böses Blut. Im Deutschen jedoch ist das anders. Wenn einem Deutschen ein Adjektiv in die Finger fällt, dekliniert und dekliniert und dekliniert er es, bis aller gesunde Menschenverstand herausdekliniert ist.“
Vom Deklinieren und Beugen wird das Adjektiv ganz flexibel – ein Alptraum für diejenigen, die Deutsch als Fremdsprache lernen.
Übrigens wird Mark Twain in Lexikonartikeln mit den Adjektiven scharfzüngig, humoristisch, entlarvend und bissig beschrieben.
Literatur und Links:
- Mark Twain, Gesammelte Werke in zehn Bänden. Ausgewählt und zusammengestellt von Norbert Kohl. Band 4: Bummel durch Europa. Deutsch von Gustav Adolf Himmel. Frankfurt am Main (Insel) 1985. S. 527–545.
- Blog Hans Peter Roentgen: Richtig würzen mit Adjektiven und Adverbien
- Wikipedia: Adjektiv
- Duden: Adjektiv