In der virtuellen Brillenwelt
Das erste Mal war ich … unter/in/hinter der Brille. Die von Samsung gesponserten Geräte mit vier vom Cologne Game Lab entwickelten virtuellen Realitäten liegen im Max-Ernst-Museum bereit und kaum öffnet es seine Türen, strömen die ersten Besucher/innen zu den Brillen. Sie strömen auch an ihnen vorbei in den Keller zu den Werken von M.C. Escher. Grandiose Ausstellung übrigens.
Die Brillen
Sie muten an wie damals die ersten Mobiltelefone: groß, fett, schwer. Vor dem geistigen Auge (haha!) sehe ich sie schon Jahr für Jahr schrumpfen bis auf Mikrochipgröße und hoffe, die Rechnung geht in Monaten auf. Das Gewicht der virtuellen Brillen, die schwer auf die Nasenwurzel drücken, verliert sich nach den ersten „Metern“. Sie Brillen zu nennen, ist irgendwie nicht ganz treffend, sie sind ja von ihrer Wirkung her eher wie ein Helm oder eine Kappe, so um den Kopf herum und sobald die Augen die Tore öffnen, auch in ihm drin.
Mit dem Blick steuern
Das ist ungewohnt … keine wischenden oder am Joystick turnenden Finger, nur die Kopf- und Blickbewegung führen mich an den Abgrund. Kennt jemand das Spiel „Monument Valley“ ? – eine an Eschers unmöglicher Perspektive angelehnte preisgekrönte und wahrlich bezaubernde Treppen- und Architektur-Geschicklichkeits-Übung, in der die Prinzessin einen märchenhaft gestalteten Weg finden muss. Das Spiel eignet sich gut zur Einführung in die virtuelle Welt, denn es ist langsam, kontemplativ und von sphärischer Musik begleitet. Geschwindigkeit spielt keine Rolle und herumgeballert wird auch nicht. Und trotzdem stürze ich mehrere Male in die Unendlichkeit des schwarzen Sternenkosmos. Trotzdem reiße ich die Brille nicht ab. Denn ich habe vergessen, dass ich sie trage.
Das Gehirn fährt voll drauf ab
Mein Gehirn hat Schwierigkeiten, die neue Umgebung mit erinnerter Analogie abzugleichen. Es schickt mir Filmsequenzen von Gravity, Solaris und anderen Point of no Return Szenarien. Sprachlich ist es völlig überfordert. Die vorsprachliche Zone hat mich schon über den Abgrund gestürzt. Ich muss neue Skills entwickeln. Meinen „Guts“ vertrauen, also intuitiv vorgehen. Die Sekundenbruchteile nutzen, die es braucht, um die Kurve zu kriegen. Dem Treppenabschnitt in seinem abrupten Verlauf folgen. Die Augen auf den Weg heften. Ich schätze, dass geübte Spieler/innen jetzt lächeln. Ich bin keine geübte Spielerin. Aber Spielerin. Das genügt. Das Gehirn spielt mit.
Blicke können töten
Eine völlig neue Erfahrungswelt liegt mir vor Füßen. Das Eintauchen in eine fremde Welt, deren Spektrum der Wählbarkeit bald gefühlt unendlich sein wird, hat einen fühlbaren Suchtcharakter. Es riecht so intensiv nach MEHR, dass die Duftwolke die klare Sicht verhüllt. Das ist gewollt und das wird geschehen. Alle, die bisher hinter bzw. „mit“ der Brille waren und mit denen ich gesprochen habe, sind begeistert. Sie haben dieses Funkeln in den Augen. Hello Matrix, Inception und all die anderen, die so ähnlich sind. Wenn Blicke töten könnten, erhält nun auch eine neue Qualität. Ab jetzt können sie töten – oder wie kann ich meine Blickintensität steuern, dass es nicht töten, sondern „nur“ umhauen ist? Vielleicht kommt es einfach auf die Blickdauer an: Kurz hingucken ist umstoßen und lange draufstarren ist töten. Ich komme da außerdem in echte ethische Konflikte. Das wird eine ganzheitliche Angelegenheit: Geist ist freiheits-, Körper ist suchtgefährdet. Da bricht eine neue Ära an: für mich jedenfalls. Und … Finger verbrennen ist Vergangenheit.
Gerade höre ich einen Bericht von einem Experiment in Florida. Dort haben Studenten ein Spiel entwickelt, bei dem sie ihre Drohnen ausschließlich mit ihren Gedanken steuern….