Sprache ist Anarchie
Spreche mit Überzeugung so, dass dich niemand versteht und du läufst nicht Gefahr, in eine der gängigen Schubladen eingeordnet zu werden. Dada ist Wortmalerei. Meine Nicht-Kunst. Die anderen – bildnerischen, psychologischen, philosophischen mystischen und politischen Strömungen sind auch ganz wunderbar. Eine Wärme strömt durch mich als wäre ich zu Hause angekommen. Dabei bin ich nur im Museum.
„Dada ist für den Unsinn. Das bedeutet nicht Blödsinn. Dada ist unsinnig wie die Natur und das Leben. Dada ist für die Natur und gegen die Kunst.“
Hans Arp, Worte mit und ohne Anker, Limes, 1957
Sprache ist Heimat (kleiner biografischer Exkurs)
Die liebliche südbadische Landschaft ist für eine Jugendliche mit einem großen P (für Protest) auf der Stirn der ideale Ausgangsort für das Düstere und Dunkle. Daran ändert auch der Schwarzwald nichts. Grundsätzlich sowieso nicht an Landschaft, sondern daran interessiert, sie zu überwinden, beginne ich, die Bergprägung abzubauen. Das bedeutet nicht unbedingt, nach Berlin oder Hamburg zu gehen, was Flucht oder Verdrängung wäre. Außerdem wäre es die Fortschreibung einer Familienflüchtlingsgeschichte. Kaum auf Heimaturlaub, wären die Berge wieder präsent – mit allem, weswegen ich sie verlassen habe. Ich meine echte Dekonstruktion. Verzicht auf Form zugunsten der Idee.
Nach Zürich ein Katzensprung
Gedanklich allemal. Tatsächlich ist Zürich von Südbaden nicht weit entfernt. Im Kopf als Katzensprung präsent. In Schulausflugnähe. Und was macht ein Deutsch-Leistungskurs aus Südbaden? Er fährt mit dem Bus nach Zürich ins Carbaret Voltaire.
Dort gibt es Namen für das, was die Idylle der Herkunft befremdlich macht und zusammengefasst ist es Dada. „Protest mit den Fäusten, seines ganzen Wesens in Zerstörungshandlung: Dada,“ in einem Auszug aus dem Manifest Dada von Tristan Tzara, 1918. Das Manifest ist Ausdruck unserer ungelenken juvenilen Schräglagen, die wir ansonsten mit Alkohol und Rockmusik herunterrutschen. Aus dem Protest eine Haltung zu machen, die das ganze Leben hält, scheint eine annehmbare Alternative.
zack hitti zopp
Für diejenigen, für die nach dem Eintritt in das Erwerbsleben Dada abgeschlossen ist – das sind nach meinem Eindruck fast alle – ist eine Ausstellung anlässlich des Dada-Jubiläums ein Ausflug als sonntägliches Kulturevent. Gutgelauntes Gelächter über diese „verrückten“ Ideen. Mehr Un- als Verständnis. Die tiefen Nasenwurzelfalten beim Entziffern der Lautgedichte. Peinlichkeit pendelt im Raum. Kunst treibt merkwürdige Blüten. Mich hat Dada nie losgelassen. Damals geflasht wie heute, vor allem sprachlich. Aber auch an der Grundhaltung habe ich festgehalten. Sie gibt trotz des infrage Stellens aller bewährten Konformitäten erstaunlich viel Halt.
Genese Dada
Aus welchen Kontexten Dada vor 100 Jahren entstanden ist – das zeigt die Ausstellung Genese Dada im Arp-Museum Rolandseck. Sie zeigt die „mythische Entstehungszeit von „Dada“ im Cabaret Voltaire und den Beginn der weltweiten Verbreitung der Kunstbewegung ausgehend von der Galerie Dad in Zürich“ (Ausstellungsprospekt). Und wieder wohne ich in Königswinter einen Katzensprung vom Dada entfernt. Das Arp-Museum ist so und so eine dadaistische Festung in der sonst etwas heruntergekommenen Rheinromantik. Der strahlend weiße postmoderne Neubau hängt wie ein Schwebezustand am Steilhang. Die Dauer-Arp-Ausstellung ist für die Dauer der Dadaschau an anderer Stelle. Die Genesen-Ausstellung ist sehr gut, vor allem vor den Schaubildern könnte ich Tage verbringen. Ob sie Dada sind oder etwas im Herkömmlichen erklären sollen, hat sich mir noch nicht entschlossen. Fragen möchte ich nicht, da die Antwort eventuell meine Fantasie überflügeln könnte.
Fotografieren erlaubt
Das ist gut. Ausstellungen, die ich nicht fotografieren darf, machen mir nur halb so viel Spaß. Auch für die Schreiberei sind Bilder wichtig. Wie zum Beispiel das Schaubild. Oder ein Gedicht an der Wand. Ist doch schön, das einfach einmal abzulichten anstatt zu zitieren. Nicht fotografieren dürfen ist ein anachronistisches Verbot, das hat der Dada schon vor dem Internet erkannt. Überhaupt sagen Verbote mehr über diejenigen, die verbieten als über die, die das Verbot befolgen sollen. Nach dieser anarchistischen Plattitüde schaue ich mir an, was die anderen im Museum fotografieren. Sie fotografieren Fotografien und auch diese Schaubilder. Sie sehen aus wie Ablauforganisationspläne. Das Gehirn hat wirklich was zu tun, um darin keinen Sinn zu entdecken.
Seepferdchen und Flugfische, Lautgedicht von Hugo Ball