Inszenierte Verführung
Innerhalb einer Woche haben den EDEKA Weihnachtsclip #heimkommen rund 38 Millionen Menschen angeschaut. (wer ihn noch nicht gesehen hat, siehe unten)
Der Spot gilt als gelungenes Beispiel für Storytelling als Marketing Methode. EDEKA bzw. die beauftragte Agentur drücken kräftig auf die Tränendrüse. Er erfüllt alle Kriterien für eine gute Geschichte. Sie ist einfach und kurz. Ihr größter Verdienst ist die vorweihnachtliche Rührung der Volksseele und sie kommt auch deshalb so gut an, weil sie in Blockbuster-Optik gedreht ist, die schon von ihrer reinen Anmutung an ein berühmtes Melodrama erinnert, auf dessen Titel ich mich gerade nicht besinnen kann.
Inszenierung einer Marke
In #heimkommen kommt EDEKA gar nicht vor. Auch keine ausgewählten Lebensmittel – außer einem gebratenen Vogel auf der festlich gedeckten Tafel. Was uns Anklicker/innen vermittelt werden soll, ist dass EDEKA sich sorgt und sich kümmert – englisch besser: EDEKA cares. Beim Weitersagen sagen die Leute nicht „Hast du den #heimkommen Spot schon gesehen?“, sondern „Hast du den EDEKA Spot schon gesehen?“ Mehr brauche ich dazu nicht zu schreiben. Glückwunsch.
Was ist eine gute Geschichte?
Wir entscheiden unbewusst und sehr schnell, ob eine Geschichte gelungen ist. Gelungen heißt, sie berührt uns auf die eine oder andere Weise: Mit Traurigkeit, Melancholie, Sehnsucht, Leid, Schuld und Liebe. Auch mit Heiterkeit, Stolz, Glück und Sinnlichkeit wird gearbeitet – sogar hauptsächlich und am erfolgreichsten. Auch die Angstschiene wird reichlich bedient – aber jetzt in der Vorweihnachtszeit dominiert die Vorfreude in all ihren Facetten.
Der Titel ist richtig gut
Wenn eine Geschichte richtig gut ist, dann erinnern wir uns an ihren Titel. Ein Buch, ein Film, ein Videoclip. Noch Jahre später ist uns der Titel präsent und er wird zu einer Art Platzhalter für die Vermittlung genau dieser Art von (Be-) Rührung. Kaum ein neuer Titel wird es schaffen, den alten vom Thron zu stoßen. Der alte Titel hat sich ein tiefes Muster in das Gehirn gekratzt – wie eine tiefe Kerbe in eine Baumrinde. In dieser Rinne läuft die Erinnerung herunter wie Regenwasser und füllt alle erwartbaren Begleiterscheinungen auf: rote Wangen, verschleierter Blick, tiefes Luftholen.
Das Publikum fiebert mit
Das weihnachtliche #heimkommen ist ein Thema für uns alle. Die Kinder kommen zu uns heim oder wir wünschen uns das. Wir kommen heim zu unseren Eltern und treffen dort den Rest der Familie, unsere Geschwister und deren Kinder. Das Heimkommen, das ja eigentlich eine wunderbare Bedeutung hat, ist aber oft konfliktgeladen und bei weitem nicht so idyllisch wie das Wort selbst. Auch das kennen wir alle. Wenn ein so typisches Thema auf anrührende Weise angesprochen wird, dann taucht das Publikum für kurze Zeit in das eigene Erleben und fiebert mit, wie die Geschichte wohl ausgeht.
Erinnerung ans Kindsein
Alles, was uns an unsere Kindheit erinnert, ist bester Stoff für Geschichten. Das Setting Weihnachten ist derart verwoben mit Vorfreude, Festlichkeit, Erwartung, Spannung und Wunscherfüllung, dass ein kleiner passender Trigger genügt, um eine entsprechende Atmosphäre zu schaffen. Für die meisten Menschen ist Weihnachten grundsätzlich ein freudiges Ereignis. Schwierig oder kompliziert wird Weihnachten oft erst im Erwachsenenalter, wenn wir uns in Erwartungen und Verpflichtungen verstricken.
Weihnachten: Fest der Liebe
Schenkt euch Liebe. Normalerweise kommt die Liebe bei EDEKA in Form von Lebensmitteln. Im Spot bedient EDEKA dieses Klischee nicht und erzählt statt dessen eine Geschichte. Das Thema ist die Liebe zum Vater, die durch den hektischen Alltag der modernen Großstadtfamilie an Weihnachten hinten runter fällt. Die Liebe ist unsere Lieblingsgeschichte.
In unendlich vielen Variationen konsumieren wir Liebesgeschichten. Tag für Tag. Das Thema Liebe in Form von Storytelling an Weihnachten zu platzieren, macht für Unternehmen natürlich Sinn – auch auf die Gefahr des Overkills an Marketingmaßnahmen, in denen der eigene Beitrag untergeht wie ein altersschwaches Schiff.
Es leuchten immer nur ein paar Sterne hell am Nachthimmel. Die meisten sehen wir sowieso nicht und auch das Licht der Leuchtenden ist schon lange verloschen, wenn es uns Weihnachten feiernde Erdlinge erreicht. Die Liebe allerdings ist es wert, das man an ihr festhält. Warum also nicht Weihnachten als persönlichen Liebesdienst an seinen Liebsten nutzen? So wird wieder ein Fest der Liebe daraus.
Fortsetzung folgt

Gute Geschichten werden gerne wiedererzählt, wiederholt und dann auch fortgesetzt. Unser Gehirn will wissen wie es weitergeht, wenn es die Geschichte schon x-mal aus dem Erinnerungskasten geholt hat. Kleine Ausschmückungen und persönliche Beigaben verändern die Geschichte leicht, aber ihr Kern bleibt bestehen. Selbst Fehler oder unlogische Entwicklungen kann sie verkraften. Viele berühmte Geschichten tragen offensichtliche Ungereimtheiten in sich ohne dass sich jemand daran stört – wie zum Beispiel die Geschichte von Adam und Eva und ihre Vertreibung aus dem Paradies. Unbekümmert wird seit Jahrtausenden die berühmte Feige als Apfel bezeichnet und niemand stört sich daran, dass Feigen- und nicht Apfelblätter die Blößen bedeckt. Auf manchen Abbildungen wird der Baum der Erkenntnis als Äpfel tragender Feigenbaum dargestellt bzw. als feigenblättriger Apfelbaum.
The End
Das Ende der Geschichte ist wichtiger als ihr Anfang. Am Ende wird alles gut. Auch wenn es Trauer trägt. Zum Schluss werden die offenen Handlungsstränge zusammengebunden, damit ein Ganzes entsteht. Fällt der Vorhang und das Publikum spendet Applaus, ist die Verführung gelungen und die Inszenierung erfolgreich.
Ein offenes Ende hebt das sonst klassische Absinken der Spannungskurve noch einmal an und weckt Neugier auf die Fortsetzung. So funktionieren Serien. Wir sehen uns wieder.
Heute Abend
im BusinessCampus der Gründungsakademie Rhein-Sieg:
Inszenierte Verführung – Storytelling als Marketing-Methode
AUSVERKAUFT (weitere Vorstellungen sind geplant).