Den Menschen fällt es schwer, Pflanzen einen Plan zuzugestehen. Zum Beispiel die Absicht der Bäume, dieses Frühjahr mit ihren Blüten zu protzen. Kein poetisch verschämtes Understatement wie sonst, sondern XXL. Japanische Kirschen (prunus serrulata), die unter ihren dicken Duftballen fast zusammenbrechen. Matten von Buschwindröschen weit wie Gletscher. Veilchen, Vergissmeinnicht und Schlüsselblumen soweit das Auge reicht. Die Frage ist, was wollen uns die Pflanzen damit sagen?
Diese Frage bleibt unbeantwortet, denn sie ist unseriös. Jede Antwort kann nur These oder Interpretation sein. Wollen uns die Pflanzen etwas sagen? Wahrscheinlich nicht. Also nicht uns, den Menschen. Sie reden miteinander und verlassen ihre bisherige Bescheidenheit. Das klingt etwas bedrohlich, aber nur, weil wir keine Pflanzenversteher/innen sind. Also sagen wir Phänomen dazu.
Farben sind das Lächeln der Natur

Viele Kirschblütenzeiten habe ich kommen und gehen sehen, aber diese schlägt dem Fass den Boden aus. Das Motto der Pflanzenwelt scheint dieses Jahr zu sein: Nicht kleckern, sondern klotzen. Erstens wegen der Anzahl und Größe der Blüten pro Ast: weit außerhalb gewohnter Proportionen. Zweitens die Farbe: Nicht nur die Park- und Straßenbäume profilieren sich, nein auch die völlig unbeachtet auf Streuwiesen wachsenden Kirschen machen einen auf dicke Hose. Fettes Rosa, pralles Pink, gleißendes Weiß. Sogar richtig rote Kirschblüten gibt es. Seit wann das denn? Und drittens das Licht: die Beleuchtung der Blüten ist bravourös. Perfekt portioniert wie von Profis.
In meiner Sprichwortsammlung steht „Farben sind das Lächeln der Natur.“ Doch hemmungsloses Gelächter ist angesagt. Was für ein Spektakel. Was könnte der Grund sein für diese Show?
Rein botanisch biologisch wissenschaftlich betrachtet, beeinflussen Pflanzenfarben als Signalfarben das Verhalten von Tieren, die zur Verbreitung der Pflanze beitragen. Sprich Bienen und Hummeln, die sich tummeln. Ein Buhlen um die Biene? Weil es weniger Bienen gibt müssen die Bäume sich mehr um die Einzelne bemühen?
Exkurs: Biene ist Blütentreu

Diesbezüglich gibt es ein interessantes Detail: Die Biene ist Blütentreu. Zumindest einen Tag lang. Ihre erste Landung entscheidet darüber, welcher Blüte sie den lieben langen Tag treu bleibt. Ist es morgens die Kirsche, fliegt sie nur Kirschen an. Sammelt, bestäubt, fliegt weiter, sammelt, bestäubt. Hat der Baum das bestimmt oder die Biene? Der Biene ist ja eigentlich einerlei, wessen Pollen sie in ihren Stock trägt, Hauptsache Futter für die Königin. Aber dem Baum ist es nicht egal. Er will möglichst viele Früchte tragen. Dafür braucht er die Bienen. Wie genau der Baum die Biene manipuliert, weiß niemand. Ein wohlbehütetes Pflanzen-Geheimnis.
Anthropozentrische Interpretation

Zurück zu den Farben: Die Wissenschaft weiß, dass Bienen kein Rot sehen können. Deshalb sind die Blütenfarben der Kirsche weiß und die unreife Kirsche grün wie die Blätter, denn die Vögel, die Kirschen fressen, sollen die Kirsche erst sehen, wenn sie rot und reif ist.
Für die Wissenschaft haben Farben in der Tier- und Pflanzenwelt eine ethologische Bedeutung (Ethologie = Verhaltenslehre). Tiere und Pflanzen setzen Farben quasi intuitiv zur Fortpflanzung, als Tarnfarbe und Lockmittel ein. Ob Größe und Anzahl von Blüten ebenfalls von Bedeutung sind und wenn ja von welcher, bleibt ungewiss.
Für Menschen sind Farben einer der wichtigsten Informationsträger und bilden einen Grundbestandteil im Wortschatz jeder Sprache. Unsere Augen können zwischen 100.000 und 1 Million Farbnuancen unterscheiden – ohne dass uns für jede Variante eine Vokabel zur Verfügung stünde. Die Vielfalt der Farben überfordert uns.
Bleibt Bewunderung. Und im Hinterkopf die Frage, warum?