Es sind zwei Frauen, die zum Dinner einladen: Die Ayurveda-Köchin Karin Schuller und die Philosophin Dr. Christina Münk haben sich zusammengetan, um „gutes ayurvedisches Essen, angenehme Gesellschaft und das gemeinsame Nachdenken über philosophische Themen“ zu präsentieren.


Zur Premiere dieser Veranstaltung finden sich rund 20 Gäste ein, die bei Kaminfeuer und Kerzenlicht im ehemaligen französischen Sternerestaurant Tour de France in Königswinter Niederdollendorf „Geist und Gaumen kitzeln“. Gut gelaunte Gesichter und frohes Gelächter füllen den Raum. Zur Einführung gibt es etwas Süßes, eine Apfelcreme, die Lust macht auf mehr.
Karin Schuller erklärt auf liebenswürdige Art ihre Kochkunst, die alle Geschmacksrichtungen aufs Feinste verbindet. Christina Münk gibt geistige Nahrung: Was sagen die Philosophen zum „guten Leben“? Hier sei nur kurz der Spruch von Immanuel Kant wiedergeben, der auf der Einladung steht: „Es gibt keine Lage, wo Sinnlichkeit und Verstand, in einem Genuss vereinigt, so lange fortgesetzt und so oft mit Wohlgefallen wiederholt werden können, als eine gute Mahlzeit in guter Gesellschaft.
Das nächste Philosophische Dinner findet am 27. April 2015 statt und anmelden kann man sich hier auf der Webseite von Karin Schuller.
Die ausführliche Fassung der philosophischen Begleitung durch diesen Abend stammt von Christina Münk selbst und ich will euch/Ihnen die Lektüre wärmstens empfehlen:
Was ist ein gutes Leben?
Dr. Christina Münk
Ein gutes Leben – das ist eine Formulierung, die im alltäglichen Sprachgebrauch eher nicht üblich ist. Man spricht vielleicht manchmal davon, dass jemand sich ein schönes Leben macht, und das heißt dann: ein angenehmes, sorgenfreies, vielleicht sogar luxuriöses Leben. Wenn in der Philosophie vom guten Leben die Rede ist, dann handelt es sich um eine künstliche Formulierung hinter der sich die Fragen verbergen: Wie soll ich mein Leben führen? Welche Richtung soll ich meinem Leben geben? Wie kann ein menschliches Leben glücklich gelingen? Wobei von Glück genau genommen zuerst noch gar keine Rede ist. Ob nämlich das gute Leben auch ein glückliches Leben ist, darüber gilt es erst einmal nachzudenken.
privat oder öffentlich
Die Frage nach dem guten Leben ist eine existenzielle, die jeden Menschen betrifft. Wenn sie für uns nicht immer explizit zur Diskussion steht, dann liegt das unter anderem daran, dass die Gesellschaft, die Kultur und die Familien, in die wir hineingeboren wurden, Antworten auf diese Frage bereithalten, die wir erst einmal übernehmen. Ein gutes Leben ist ein gottgefälliges, den Traditionen verpflichtetes, dem Konsum verpflichtetes, arbeitsreiches, liberales usw.
Die Aufgabe der Philosophie ist es, die Frage nach der guten Lebensführung wieder (und immer wieder) explizit zu stellen und bewusst zu machen. Gerade auch in Zeiten, in denen die Meinung vorherrscht, die Frage nach dem guten Leben sei ein private, die man nicht öffentlich erörtert. Um solche Vorurteile des Zeitgeistes muss eine Philosophin sich Gott sei Dank nicht kümmern.
maximieren oder maßhalten
Was ist nun also ein gutes Leben? Ich möchte Ihnen im Folgenden einige Positionen kurz vorstellen.
Kommen wir doch noch einmal auf das schöne Leben zurück, das man sich machen kann. Man kann sein Leben auf die Maximierung von Lust und Genuss ausrichten. Das nennt sich dann Hedonismus und das klingt erstmal nicht schlecht.
Der Philosoph Robert Pfaller gibt zu bedenken: Während wir alles dafür tun, um möglichst lange zu leben, maßhalten und uns Dinge verbieten und alles für unsere Gesundheit tun, verlieren wir womöglich aus den Augen, was das Leben wirklich lebenswert macht. Glücklich sind wir doch in Wahrheit, wenn wir mit Freunden trinken, wenn wir fettiges Zeug essen, rauchen, tanzen, feiern und überhaupt unvernünftig sind. Dann haben wir das Gefühl, es lohnt sich, zu leben. Also sollten wir uns ruhig öfter diese Unvernunft zugestehen.
beschleunigen oder downshiften
Hinter einem naiven Hedonismus – den Herr Pfaller nebenbei bemerkt nicht zu vertreten beansprucht – verbirgt sich eine Idee, die gerade für uns spätmoderne Menschen sehr prägend und bedeutsam ist: Wir haben nur dieses eine, irdische Leben, also sollten wir das Beste daraus machen. So eine Vorstellung haben Sie z.B. im christlichen Weltverständnis nicht. Da ist das diesseitige Leben im Grunde nur die Vorbereitung auf das wahre und glückliche Leben, das im Jenseits stattfindet. Damit wird irdisches Leiden, aber auch irdische Freude relativiert. Die Vorstellung nun, dass wir nur ein Leben haben und dieses so gut wie möglich nutzen sollten, kann eine unglückliche Entwicklung bekommen, wenn „das Beste aus dem einen, einzigen Leben machen“ die Bedeutung bekommt: möglichst viel zu erleben, die Lebenszeit möglichst effizient zu nutzen. Höher, schneller, weiter, mehr zu leben. In Verbindung mit dem technischen Fortschritt setzt sich dann eine Tendenz in Bewegung, die wir Beschleunigung nennen. Und interessanterweise gibt es ein großes Unbehagen an dieser Beschleunigung. Da entsteht dann ein unheimlicher Druck, mitzukommen und mitzuhalten. Es entsteht Stress, ja sogar Freizeitstress, weil alles so viel und so schnell ist. Und sehr viele Menschen bekommen das Gefühl, sich von einem guten Leben eher zu entfernen, als es in der Maßlosigkeit und im Überfluss zu finden.
Gerade hier und heute wächst daher das Misstrauen gegenüber dem Glücksversprechen des Viel- und Schnelllebens. Und es entwickelt sich seit einigen Jahren als Gegenentwurf dazu der Traum vom einfachen Leben, von der Landlust, vom Aussteigen. Downshifting, so nennt sich das Runterschalten von einem komfortablen, aber stressigen Lebensstil auf eine einfachere, aber sinnerfüllte Existenz. Man liest von Managern und Medienmenschen, die sich in einer Hütte in den Bergen niederlassen, und die sind auf einmal überglücklich über ein Leben ohne Luxus und ohne Druck. Da guckt man dann halb belustigt und halb neidisch auf die Ex-Pressesprecherin von MTV, die plötzlich entscheidet, sie möchte Jugendherbergsmutter im bayerischen Sudelfeld werden.
asketisch und gut
Dass man die äußeren Dinge nicht zu sehr wertschätzen sollte, dass man sich vielmehr im Maßhalten und in der Bescheidenheit üben sollte, das sind nun keine modernen Ideen, sondern Grundsätze einer gelungenen Lebensführung, die Sie schon bei den antiken Philosophen finden. Sokrates z.B. war für seine Bedürfnislosigkeit bekannt. Er lief in bescheidener Aufmachung (man könnte auch sagen: einigermaßen heruntergekommen) durch Athen und das regelmäßige Beschaffen von Geld war ihm weit weniger wichtig als die philosophischen Gespräche, in die er seine Mitbürger verwickelte – zum Ärger seiner Ehefrau, wie man sich vorstellen kann. Es gibt eine berühmte Anekdote, laut der Sokrates auf dem Athener Marktplatz die Waren anschaut und dann feststellt: „Wie zahlreich sind doch die Dinge, derer ich nicht bedarf!“ Diese Art der Bedürfnislosigkeit ist in gewisser Weise eine Befreiung, denn was ich nicht brauche (oder zu brauchen glaube), davon bin ich unabhängig. Bei Sokrates und v.a. bei seinem Meisterschüler Platon steckt aber noch mehr dahinter: Das gute Leben ist laut Platon ein asketisches, weil der Mensch, der sich dem Guten nähert – und das geht nur über die Philosophie, also über den richtigen Gebrauch der Vernunft – sich nicht von äußeren Dingen ablenken lassen darf. Auch nicht von den üblichen Glücksversprechen: Reichtum, Ansehen, schöne Dinge, gutes Essen und Trinken usw..
Wünsche und Glück
Jetzt haben wir uns vom kruden Hedonismus, den ich eingangs vorgeschlagen habe, ziemlich weit entfernt. Und wir entfernen uns noch ein bisschen weiter davon, wenn wir uns den Stoikern zuwenden. (Philosophenschule, um 300 v. Chr. begründet)
Die Stoiker wollten Wege finden, wie der Mensch sein Glück selbst erwerben und auf Dauer halten kann. Es ging also nicht um kurze Momente des Glücks, sondern um ein dauerhaft glückliches Leben. Glücklich sind wir dann, wenn wir alles bekommen, was wir uns wünschen. Das passiert aber erfahrungsgemäß nicht. Also müssen wir, um an unserem Glück zu arbeiten, an unseren Wünschen und an unserer Einstellung zur Welt arbeiten. Denn das liegt in unserem Vermögen. Der entscheidende Gedanke der Stoa ist der: nur dasjenige für wichtig zu erachten, was in unserer Macht liegt. Das, worüber wir verfügen können, ist unser Innenleben, insbesondere unsere Vernunft. Alles andere muss von demjenigen, der konstant glücklich sein will, als gleichgültig angesehen werden. Das ist schon eine fast übermenschliche Forderung, die hier formuliert wird, denn alle äußeren Dinge, Besitz, Gesundheit und sogar das Leben selbst sollen als gleichgültig betrachtet werden – um einen Zustand der konstanten Seelenruhe zu erreichen.
reich und frei
„Wahren Reichtum besitzt derjenige, der arm an Begierden ist“. Idealerweise erreicht man einen Zustand, den die Stoiker als Meeresstille der Seele bezeichnen. Negativ formuliert ist das die völlige Ausschaltung der Gefühle in der Apathie, d.h. der Freiheit von den Leidenschaften: Lust, Begierde, Trauer und Furcht, die als unvernünftige Regungen der Seele zu bekämpfen sind.
Dazu ist der Mensch fähig, wir müssen nur unsere Meinungen über die Dinge ändern.
Eine etwas ansprechendere Vorstellung vom guten Leben hatte Aristoteles. Das vollkommene Glück liegt seiner Meinung nach in der aktiven geistigen Schau. (Wissenschaft, Philosophie), weil der Geist das höchste und kostbarste Gut in uns ist, und ihn bestmöglich zu nutzen, ist eben das Beste, was wir als Menschen tun können. Aber Aristoteles ist Realist und ihm ist klar: „Es wir auch die Gunst der äußeren Umstände vonnöten sein, da wir Menschen sind“. Eine gute Lebensgrundlage, eine komfortable Lebensweise und gute Freunde müssen also noch dazu kommen, damit das theoretische Leben auch wirklich ein glückliches ist.
Es gibt, wie Sie sehen, recht unterschiedliche Ansichten darüber, wie man im Leben glücklich werden kann, wie man also ein „gutes“ im Sinne von „glückliches“ Leben führt.
Dass es aber beim guten Leben überhaupt um Glück geht, das ist keineswegs selbstverständlich. Es gibt auch die Fraktion der „Glücksskeptiker“, die sagen würden, wenn wir uns fragen, wie wir leben sollen, dann ist Glück nicht unbedingt der Maßstab, der dafür entscheidend ist. Immanuel Kant z.B. war der Meinung, die Glückseligkeit – wie das bei ihm heißt – ist natürlich etwas Schönes und ein Zustand, den sich alle Menschen wünschen. Aber die Vorstellungen darüber, wie Glückseligkeit konkret aussieht, sind so vielfältig und subjektiv und das Erreichen der Glückseligkeit ist von so vielen zufälligen Faktoren abhängig, dass wir darüber nichts Allgemeingültiges sagen können. Was demgegenüber für alle Menschen gleich ist, sind die Bedingungen für ein gutes im Sinne eines moralisch wertvollen Lebens. Die Vernunft sagt uns, wie wir gut handeln sollen, und das ist das Wichtigste, da muss die persönliche Glückseligkeit ohnehin zurückstehen. Wenn wir dann gute Menschen sind, dann, so Kant, machen wir uns glückswürdig, d.h. erst dann haben wir überhaupt das Glück verdient. Ob das dann auch zu uns kommt, so wie wir uns das vorstellen, das können wir nur hoffen. Immerhin machen wir aber die Welt, indem wir moralisch gut sind, zu einem etwas besseren Ort und können vielleicht so (indirekt) auch etwas für unser Glück tun.
Herden- und Wohlfühlglück
Ein anderer Philosoph, dem man mit dem Glück nicht zu kommen brauchte, war Nietzsche – zumindest wenn es um das kleine Glück der meisten geht, also das bequeme, behagliche, angenehme 08/15-Glück. Das Herdenglück. Das Wohlfühlglück. Die üblichen Glücksverheißungen waren Nietzsche zuwider – ein Glück, das in ein bisschen Freude über erfüllte Wünsche und gestillte Bedürfnisse besteht. Nietzsche ging es um etwas ganz anderes, nämlich darum, sein Leben wie ein Kunstwerk zu gestalten, also der Dichter seines eigenen Lebens zu werden. Nicht die ausgetretenen Pfade zu gehen, sondern Neues probieren und sich versuchen zu lassen. Am Leben zu wachsen, gerade auch an seinen sogenannten Schattenseiten, am Leid, an der Verzweiflung, an der Einsamkeit. Und dann Ja zum Leben sagen, so wie es ist. Jeder müsse sein Leben so leben, dass er am Ende „Da capo!“ rufen und noch einmal von vorne anfangen möchte. Angenommen, unser Leben würde sich auf ewig immer wiederholen. Wie fänden wir das? Wenn uns dieser Gedanke stört, dann sollten wir schnell unser Leben ändern.
Das Leben ändern. Für Peter Sloterdijk ist es das, worum es eigentlich geht. Auch bei ihm ist keine Rede vom Glück, im Sinne eines Wohlfühlglücks, ihm geht es darum, dass wir besser werden. Sloterdijk meint, wir moderne Menschen fühlen uns zwar gestresst, aber in Wirklichkeit sind wir noch nicht angespannt genug. Wir müssen die innere Spannung erhöhen und zwar nach oben, damit wir über uns hinauswachsen können. Und dass wir das tun ist notwendig, wenn man sich die Lage der Welt ansieht – insbesondere die ökologische Situation und die Probleme des globalen Zusammenlebens. Angesichts dessen ist das private Wohlfühlglück zweitrangig. Es ist jetzt vielmehr dringend notwendig, dass wir üben, um besser zu werden. Wir müssen unser Leben ändern!