Wolkenbilder

wolkenbilder4Im Westen ist jeden Abend großes Kino. Dramatisch aufgewölbte Wolken verfärben sich in kitschiges Pastell und könnten sie Geräusche machen wehten sie uns wüste Klänge um die Ohren. Wir würden nicht mehr begeistert nach oben sehen und Schwertfische, Wunderlampen und Elefanten in ihnen sehen, sondern mit gesenktem Kopf das Weite suchen bis in den Keller, wo uns Mauern und das Gebrumme der Heizung schützen.

Wolken sind nie einfach nur da. Sie bilden Tiere und Figuren, Herzen und Hexen. Im Sommer liegen wir mit den Kindern im Gras und lassen sie raten, was der Wind da oben am Himmel an uns vorübertreibt und erzählen ihnen Geschichten von Schildkröten, okay auch die von den Turtle Ninjas, von Zauberern mit langen Umhängen, ja Harry Potter zum Beispiel und von giftigen Pilzen, die weiß stäuben, wenn man sie zertritt. Meine Augen erkennen einen Schwan, ihre sehen eine Qualle und rosa mäandert sie über den Horizont.

wolkenbilder1Das Gehirn liebt dieses Schauspiel, es ist geradezu besessen (neutral ausgedrückt vorprogrammiert) davon, Andeutungen von Gestalten, Geistern und anderem Gerümpel eine Substanz zu geben, einen Sinn, eine mögliche Gefahr. So entstehen Geschichten. Ich kann sie noch spannend ausschmücken. Ein schwarzes Piratenschiff segelt über das stürmische Meer und wird von einem Riesenkraken angegriffen….

Stimmungskanone

Tatsache ist, dass wir uns der Benennung konkreter Bilder nicht entziehen können. Sie schleichen sich blitzschnell und unbewusst in unser Denken ein und drängen unsere Gedanken in eine bestimmte Richtung, ob wir das wollen oder nicht. Sie können harmlose keine Schlenker sein, die wir gleich wieder vergessen. Sie können aber auch listige Kreaturen mit einem eigenen Willen sein. Im Buch Die Analogie von Hofstadter/Sander, heißt es: „Man könnte auch sagen, eine Analogie gibt sich nicht damit zufrieden, uneingeladen zu einer Party zu kommen; wenn sie erst einmal da ist, gibt sie für den Rest des Abends den Ton an.“ Stimmungskanonen haben ihren Namen nicht von ungefähr.

Analogien, Metaphern, Bilder – sie können unsere Stimmung beeinflussen wie eine nebensächlich hingeworfene Bemerkung der Nachbarin, die uns kränkt oder berührt und die wir den Rest des Tages mit uns herumtragen und in unsere Tagesform einbauen. Wir können nichts dagegen tun. Die Interpretation lässt sich von der tatsächlichen Situation nicht trennen. Wir sind subjektiv mit unserem Selbst verbunden – nicht gefangen, denn entstünde ein negativer Eindruck von Manipulation, wäre das der falsche. Die Bilder erweitern unsere Wahrnehmung, wir fügen sie in bekannte abgelegte Muster ein und vergrößern unsere Chance, die Welt zu verstehen. Das wiederum will das Gehirn: einen guten Grund, eine Erklärung, Sinn. Tatsächlich agiert es aber wahrscheinlich zweckfrei, kann das aber aus nachvollziehbaren Gründen nicht zugeben. Es muss ja für irgendetwas mehr gut sein als nur für die belanglose Steuerung unserer Körperfunktionen.

Eklatant und unwiderstehlich

wolkenbilder2Das Gehirn kennt nämlich auch diesen tief in ihm selbst versteckten Bereich, den die englische Sprache anmutig Lizard Brain nennt, während er sich im Deutschen als Amygdala, Teil des Limbisches System zufrieden geben muss. Diese kleine prähistorische Eidechse weiß genau, dass es Bilder gibt, die für uns Entscheidungen treffen, „nicht nur hinter unserem Rücken, sondern manchmal sogar „über unsere Leiche“. Sie tritt auf, wenn wir uns in einer Situation befinden, in der eine Analogie zu einer vergangenen Situation so eklatant und unwiderstehlich ist, dass sie sich einfach aufdrängt und wir uns gezwungen sehen, ihr zu gehorchen. Wir sind dann, ohne das rational erklären zu können, vollkommen davon überzeugt, dass das, was in der Vergangenheit geschah, unweigerlich in der neuen Situation noch einmal passieren wird, selbst wenn es unseren Wünschen zuwiderläuft oder uns zu irrationalen Schlussfolgerungen verleitet.“

Ob so eine starke Wirkung von Wolkenbilden ausgeht, weiß ich jetzt gar nicht. Hoffentlich (nicht).

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