Freundschaft, Liebe, Gerechtigkeit

konstanz1Die besten Geschichten schreibt das Leben. Erzählt werden sie von den Menschen in unserer Umgebung in ganz normalen Unterhaltungen. Sie decken – das kennen wir alle – das ganze Repertoire ab: von echten, halb oder ganz erfundenen Urlaubserlebnissen über die letzte Wohnungsrenovierung bis hin zu den never ending Stories über die Kinder. Die Themen sind willkürlich und springen von einem zu anderen, was den Abend immer länger und die Stimmung immer besser werden lässt – wer gut erzählen kann, hat die ungeteilte Aufmerksamkeit des „Publikums“.

Dramen, Komödien, Tragödien

Ganz unbewusst bedienen alle Geschichten altbekannte Vorlagen für menschliche Handlungsmuster. Diese Archetypen wecken unsere Aufmerksamkeit und ordnen sich in unsere eigenen gespeicherten Vorlagen ein – sie bringen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einen Zusammenhang, schaffen Glaubwürdigkeit und tragen somit einerseits viel für das soziale Zusammenleben bei während andererseits ein hoher individueller Anteil an einzelnen Varianten verbleibt. Es sind Dramen, Komödien und Tragödien von Helden, Abenteuer, Liebe, Versuchung, Rivalität, Flucht, Rache, Opfer, Entdeckung – diese Liste ist nicht vollständig, zeigt aber schon einen großen Anteil an menschlichem Erleben, das tief ins Innere trifft.

In unseren Alltagsgesprächen machen allein die Auswahl und Gewichtung einzelner kleiner Inhalte den Unterschied, ob wir etwas interessant finden oder ob uns etwas berührt.

Anna, Veronika, Sandro und ich

Zum Beispiel letztes Wochenende, als ich mit meiner Freundin Anna in Konstanz am Bodensee war. Dort haben wir vor vielen Jahren an der Universität studiert, sie hat anschließend noch einige Zeit in der Stadt gelebt und gearbeitet. Während ich kein einziges Mal zurückgekehrt bin und auch niemanden hier mehr kenne, hat Anna enge Kontakte. Anna hat übrigens überall, wo sie eine Weile ist, persönliche Beziehungen, die die Zeit überstehen. Weil sie sie pflegt. Sie ist so gut im Verbindungen halten, dass ich mir in Gesellschaft von Anna immer vorkomme wie ein Kind, das in seiner eigenen Welt lebt und noch kein Mobiltelefon hat. Aber das ist eine andere Geschichte.

konstanz2Dank Annas freundschaftlichem Geflecht übernachten wir in einem Märchenturm – mit Blick auf den See. Wer am Sonntag schon mal den Konstanz-Tatort guckt, kennt die Kulisse. Malerische Jugendstilvillen an malerischer Seepromenade. In der Wohnung mit dem Turm wohnt die befreundete Familie, Eltern und zwei Töchter im Alter unserer eigenen Töchter – wie groß und klug und schön sie alle geworden sind.

Das Erlebnis, von dem ich erzählen möchte, spielt sich aber ganz unerwartet und zufällig unten auf der Straße ab, denn – wie könnte es anders sein – erkennt Anna im Vorübergehen eine „alte Freundin“ und ruft ganz nach Anna-Art „Hey, Vroni, erkennst du mich nicht, ich bin´s! Anna!“ Veronika bremst und lacht, es folgen Umarmungen, Komplimente über das gegenseitige gute Aussehen und ein verbaler Schnelldurchlauf der letzten zehn Jahre. Der Beziehungsstatus ist dabei immer von besonderem Interesse. Veronika erzählt, dass sich ihr Mann Werner vor sieben Jahren wegen einer anderen Frau von ihr getrennt hat – zwei Monate nachdem sie ein großes Fest zu ihrer Silberhochzeit gefeiert haben. Der Schmerz sitzt noch in ihrer Stimme, aber in ihren Augen liegt ein Lächeln. Sie sagt wenn sie ihn heute trifft würde er sagen, dass es ihm mit dieser Entscheidung eigentlich nicht so gut geht und wären wir drei Frauen auf dem Bürgersteig in diesem Augenblick Kirchenglocken, würden wir heftig hin und her schwenken und für die Gerechtigkeit läuten, so dass es die ganze Stadt erschüttert. Anna sagt also was wir alle denken „Geschieht ihm Recht!“ und das gemeinsame Gefühl flicht uns hier draußen ein klein wenig zusammen, Anna und Veronika verbindet es aufs Neue für die nächste freundschaftliche Ära, die es in Abwesenheit zu überbrücken gilt. Wir verabschieden uns herzlich und haben Veronika auf dem Weg zum Wochenmarkt schon fast wieder vergessen, denn wir treffen jetzt zufällig Sandro ….

Dieses Wochenende mit Anna ist eine Reise in die Vergangenheit, die im Zeitraffer zur Gegenwart aufholt und uns mit einer Welle von Glück überspült. Nicht nur Anna, auch mich. Denn über sie bin ich ein Teil dieser Geschichte. Einer Geschichte über Freundschaft, Liebe und Gerechtigkeit.

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