Auch Gebirge, Moore und Heiden können akademische Auszeichnungen erhalten, zum Beispiel das Europäische Diplom für geschützte Gebiete. Die Natural Heritage Division des Europarates prüft Bewerbungen von schützenswerten Landschaften, unternimmt eine Exkursion zur örtlichen Inaugenscheinnahme, erstellt danach ein Gutachten und vergibt im besten Fall die Auszeichnung, die noch geadelt werden kann von der Verleihung des Status als Weltkulturerbe der UNESCO.
Das Siebengebirge 50° 39′ 49″ N, 7° 14′ 44″ O hat seit dem 15. Oktober 1971 das Europäische Diplom. Damit zählt es zu einem Naturgebiet von „internationaler Bedeutung und von europäischem Interesse im Hinblick auf den Schutz des natürlichen Erbes und auf die Erhaltung ihres ästhetischen, kulturellen und/oder Erholungszwecken dienenden Wertes”.
Silhouette als ästhetische Ressource
Über Jahrmillionen entstand seine ansehnliche Form, die heute als ästhetische Ressource herhalten muss. Denn: Im Köln/Bonner Raum gibt es „einen hohen Anteil hoch qualifizierter Arbeitskräfte (…), die entsprechend einen hohen Anspruch an die Wohn- und Lebensqualität stellen. Daneben ist die Region aufgrund ihrer guten Verkehrsanbindung als Wohnstätte auch für Pendler nach Köln oder Düsseldorf attraktiv. Es ist mit einem wachsenden Erholungsdruck auf die verbliebenen naturnahen Landschaften in der Region zu rechnen. Verändertes Freizeitverhalten und neue sportliche Aktivitäten sind zu berücksichtigen (Geocaching, Mountainbiking, E-Bikes, Reiten, Gleitschirmfliegen etc.).“ So steht es im Entwurf für einen Naturparkplan.
Zum natürlichen Druck der Atmosphäre, des Gerölls und des Öffentlichen Nahverkehrs auf das Gebirge gesellt sich jetzt also der Erholungsdruck. Das „veränderte Freizeitverhalten“ kenne ich gut:
Geocacher/innen, die mit gesenktem Blick auf ihr Ortungsgerät die verbleibenden Meter zum nächsten Kästchen zurücklegen und der Landschaft überhaupt keine Beachtung schenken. Fängt das Gerät an zu piepen, zerlegen sie zum Beispiel Jahrhunderte alte Steinmauern, um einen vermeintlich lockeren Brocken zu finden, hinter dem die Belohnung versteckt ist: eine bunte Plastikdose, in der schrille Plastikfiguren zum Tauschen liegen.
Auf schmalen Pfaden, die nur für Wanderer freigegeben sind und wo auf jedem zweiten Baum dezent „kein Radweg“ aufgesprüht ist, fahren maskierte „hoch qualifizierte Arbeitskräfte“ auf ihren Hightech-Moutainbikes mit einem Affenzahn den bemoosten Waldboden hinunter. Die Witzigen unter ihnen haben das „k“ von „kein“ auf der Rinde weggekratzt und sich mit „ein Radweg“ ihre eigene Erlaubnis genehmigt. Militante Wandersleute legen alle zehn Meter große Äste quer über den Weg und so schaukelt sich die Stimmung im Wald von Tag zu Tag hoch.
Heimat versus Globalisierung
Im Großen und Ganzen soll das Gebirge ein Garant für Heimatgefühle sein. Weil Heimat aber ein eher historischer Begriff ist und wir in einer komplexen Gegenwart leben, wird das so beschrieben:
„Die Stärkung der regionalen Identität ist ein europapolitisches Ziel und damit eine Gegenbewegung zu Globalisierungs- und Nivellierungsprozessen. Zu den bemerkenswerten und landesbedeutsamen Kulturlandschaftsbereichen zählen dabei aus dem Untersuchungsraum das Siebengebirge selbst, aber aus dem Umfeld auch die Wahner Heide als ein europaweit bedeutsamer Biotopkomplex, der Rhein als europäischer Strom, die jungeiszeitlichen bis frühmittelalterlichen Siedlungsplätze von Niederkassel, das Drachenfelser Ländchen sowie auch Teile des Siegtals. (…) Kulturlandschaft wird heute als ein Identität stiftender Rahmen unserer Lebensqualität angesehen.“
Natur Kultur Emotionen
Gleich drei so genannte „Leitwerte“ soll das Gebirge bieten: Kultur, Natur und Emotionen. Unter Marketingaspekten sind vor allem die kulturellen und emotionalen Anforderungen interessant:
- die Inszenierung der mythischen Sagenwelt
- Burgen und Ruinen als Geschichtenerzählerinnen
- Rheinromantik im Spiegelbild von Gesellschaft, Kunst, Musik und Literatur
- Pflege von Tradition und Mythos (Poesie)
- Inszenierung von Sinnlichkeit mit dem Mythos Siebengebirge
- Kunst als Ausdruck sinnlicher Wahrnehmung der rheinischen Kulturlandschaft
- Moderner Umgang mit Natur und Kultur
Das arme kleine Siebengebirge steht unter einem enormen Leistungsdruck: Es soll Erholung bieten, also Ruhe und Entspannung, es soll die Freizeit bereichern, es soll dem Auge bezaubernde Ausblicke schenken, die Seele mit überraschenden Eindrücken nähren, den botanisch Kundigen echte Vielfalt liefern, den Durstigen und Hungrigen Einkehr bieten, die Tiere des Waldes mit Dickicht schützen und es soll sauber, schön und am besten immer sonnig sein.
Im Juli 2011 wurde das Diplom für das Siebengebirge zum achten Mal verlängert, erstmals für 10 Jahre bis 2021. Im Gegensatz zu Menschen-Diplomen, Bachelors oder Masters muss die Natur laufend ihren Titel erneuern und beweisen, sonst wird es ihr aberkannt. Ihr offizieller juristischer Vertreter, der Verschönerungsverein für das Siebengebirge (VVS), den es bereits seit 1869 gibt, muss für die Verschönerung ganz schön schuften. Er ist der älteste Naturschutzverein Deutschlands und ein Teil des Siebengebirges (7,5 Prozent) gehört ihm selbst. Am liebsten wäre es ihm, wenn das Siebengebirge zum Nationalpark erklärt würden. Das hat aber eine Bürgerinitiative abgelehnt (67 Prozent des Siebengebirges sind in Privatbesitz). Als bloßer Naturpark hat es die Funktion einer eierlegenden Wollmilchsau, die vom Verein gefüttert, gestreichelt und gestriegelt werden muss. Dieser Eindruck entsteht zumindest, wenn ich den 117 Seiten starken Entwurf des Naturpark-Plans lese. Viele unterschiedliche Akteur/innen und Interessen sind unter einen Hut zu bringen. Keine leichte Aufgabe.