Der schöne Schein: durch die Oberfläche in die Tiefe

Designer haben einen Blick dafür: Sie können die „tiefere Natur“ eines Objekts mit ihrem Expertinnenwissen von der Oberfläche ablesen. Sie schließen von der Machart direkt auf die Verwendung. Im Design heißt dieses Prinzip Transparenz. Es bedeutet, dass Oberfläche und Quintessenz eines Objekts im Idealfall eng aufeinander bezogen sind. Hat, was für eine chromblitzende Kaffeemaschine mit drei Knöpfen gilt, auch Relevanz für andere Bereiche des täglichen und nichtalltäglichen Lebens?

Antwort 1: Offensichtlich ja.
Antwort 2: Man kann sich auch manchmal täuschen, denn „es ist nicht alles Gold was glänzt.“

Der Einstieg in dieses Thema geht wieder einmal darüber wie unser Gehirn funktioniert. Um gleich einigen Skeptikern den Wind aus den Segeln zu nehmen: Es gilt als wissenschaftlich erwiesen, dass sich das Gehirn zuvörderst an Oberflächenmerkmalen bedient, um Erinnerungen (und Einschätzungen) abzurufen. Expertinnen und Spezialisten haben unter der Oberfläche ein komplex strukturiertes System von Kategorien für ihr Spezialwissen verankert. Sie können in Sekundenbruchteilen von der Oberfläche in die Tiefe tauchen und ihr Wissen mit dem ersten visuellen Eindruck verbinden.

Ihre Aufmerksamkeit wird allerdings nicht von der Gesamtheit der Oberfläche erweckt, sondern von einem Merkmal, das auffällt. Attraktivität, Formschönheit, Eleganz, Glanz – all das sind visuelle Reize, die sowohl für Kenner als auch für Nicht-Kenner dominant für den ersten Eindruck sorgen. Welche Schlüsse aus dem ersten Eindruck gezogen werden, kann in der Folge voneinander abweichen – muss aber nicht. Eine echte italienische Designer-Kaffeemaschine hält in der Regel, was ihr Eindruck verspricht – sowohl für Experten, die ihre Funktionsweise bin ins kleinste Rädchen kennen als auch für Geblendete, die natürlich davon überzeugt sind, dass der Kaffee aus einer so schönen Maschine richtig gut schmeckt. Sie werden in der Regel Recht behalten – vorausgesetzt die Maschine wird professionell bedient und mit hochwertigen Kaffeebohnen gefüllt.

In Bezug auf unser Denken sind „Oberflächlichkeit“ und „Tiefe“ daher keine Gegensätze und eine schnelle abwertende Beurteilung in Richtung Oberflächlichkeit verkennt, dass der Weg in die Tiefe durch die Oberfläche führt. Die Oberfläche enthält Merkmale und Hinweise, die auf das schließen lässt, was unter ihr verborgen ist.

Was ist mit den Irrtümern? Es gibt sie, keine Frage. Fehleinschätzung. Fassade. Mogelpackungen. Aber: Sie sind weit seltener als das Gegenteil – das heißt: meistens schenkt uns unser Gehirn einen treffsicheren Zugang zum Kern einer Sache. Nur so ist es möglich, abertausende von alltäglichen, aber auch außergewöhnliche Situation zu meistern (überleben). Den Skeptikern zur Beruhigung: Ein zweiter Blick hat noch niemandem geschadet, oder? Nur nicht bei einem geschenkten Gaul: dem schaut man nicht ins Maul.

Lit: Douglas Hofstadter, Emmanuel Sander, Die Analogie, Das Herz des Denkens, Kapitel 6 Wie wir Analogien manipulieren, 2014.

2 Kommentare zu „Der schöne Schein: durch die Oberfläche in die Tiefe

  1. Schönes Video!

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