Inspiriert und leicht abgewandelt aus: Douglas Hofstadter und Emmanuel Sander, Die Analogie. Das Herz des Denkens, Kapitel 4 Abstraktion und interkategoriales Denken, 2014.
Treffen wir uns zu einem Kaffee, egal geschäftlich oder mit einer Freundin, trinken wir dann auch einen? Oder kann es auch eine Cola, ein Eistee oder ein stilles Wasser sein? „Kaffeetrinken gehen“ lässt als allgemein anerkannte Verabredungsform das alles zu – ohne dass sich jemand daran stört oder darauf bestehen würde auch wirklich Kaffee zu trinken. Diese Art von sprachlichem Habitus heißt Marking, es ist weit verbreitet, wird aber von den Sprechenden kaum wahrgenommen. Im Prinzip bedeutet Marking, dass Wörter zwischen unterschiedlichen Kategorien switchen können – also von einer engen Bedeutung zu einer weiter gefassten. Das verleiht der Sprache mehr Geschmeidigkeit und ist außerdem ein nützliches Werkzeug in der Kommunikation, da es von der natürlichen Sensibilität für den jeweiligen Kontext, in dem sich die Menschen befinden, Gebrauch macht.
Es ist halb vier an einem Nachmittag in Köln, Marta und Enzo machen eine Pause und sich auf zum Café an der Ecke, um dort, wie jeden Tag um diese Zeit, einen Kaffee zu trinken. Obwohl es brütend heiß ist, entscheidet sich Marta für einen Espresso, Enzo schwankt zwischen einer Cola und einer Rhabarber-Schorle, er entscheidet sich für Letzteres. Nach einem kurzen Plausch überqueren die beiden Kollegen die Straße in Richtung Konditorei, wo sie, wie jeden Tag, etwas Gebäck kaufen. Enzo wählt ein Beerentörtchen, Marta nimmt ein Eis am Stiel; dann begeben sie sich zurück ins Büro und arbeiten an ihrem Projekt weiter.
Marta und Enzo waren Kaffee trinken – auch wenn nicht beide einen Kaffee bestellt haben, würde niemand sagen sie lügen. Was meinen wir im Allgemeinen, wenn wir „Kaffee“ sagen?
Mindestens vier Kontext-Arten – oder Abstraktionsebenen – können wir hier unterscheiden, in denen „Kaffee“ jeweils anders, aber immer ohne Probleme verstanden wird.
Als erstes sind da all die Situationen, in denen „Kaffee trinken“ gleichbedeutend ist mit „eine Zeitlang plaudern, während man eine Kleinigkeit zu sich nimmt.“ Das Wort „Kaffee“ ist so offen und abstrakt, dass es jede Art von Getränk abdeckt, vielleicht sogar bedeutet, dass man eine Suppe löffelt oder ein Sandwich isst.
Zweitens: Nach einem gemeinsamen Essen mit Freunden in einem Restaurant kommt der Kellner und fragt „Möchten Sie Kaffee?“ Würde ich antworten „Für mich bitte eine heiße Schokolade“, wäre die Antwort völlig in Ordnung und niemand würde mich schräg angucken, weil meine Antwort keine passende auf die gestellte Frage ist. Jetzt allerdings nochmal einen Salat zu bestellen, wäre im Kontext von „Möchten Sie Kaffee?“ unangebracht.
Drittens: Marta und ich treffen uns in unserem Stammcafé und die Kellnerin empfängt uns mit der Frage: „Was für ein Kaffee darf es heute sein?“ Sie erwartet jetzt eine konkrete Antwort wie „einen Milchkaffee und eine Latte Macchiato“ – also Getränke, die zur angesprochenen Kategorie gehören. „Kaffee“ wird in dieser Situation in einem viel engeren Sinn benutzt. Trotzdem gibt es immer noch mehrere Möglichkeiten, für welche Art von Kaffee sich Marta und ich entscheiden können.
Und viertens gibt es die typische Situation in einem französischen Café, in dem ich „un café, s´il vous plaît“ bestelle, wobei völlig klar ist, dass ich jetzt einen schlichten Espresso bekomme und nichts anderes. In einem französischen Café ist das die Standard-Interpretation von „Kaffee“. Das ist außerdem die niedrigste und engste Abstraktionsebene im Kaffee-Spektrum.
Was veranschaulichen diese Beispiele? Sie zeigen, dass ein alltäglicher Begriff wie „Kaffee“ mehrere Kategorieebenen haben kann und dass wir ohne Verständnisschwierigkeiten alle Ebenen mühelos bedienen und zwischen ihnen switchen können. Sie geben uns Aufschluss darüber, wie flexibel und kreativ unsere Kommunikation aufgebaut ist und wie unser Gehirn in Bruchteilen von Sekunden den jeweils „richtigen“ Kontext bedient.