Glanzleistung

Zum Buch Die Analogie, Das Herz des Denkens von Douglas Hoftstadter und Emmanuel Sander (2014), Originaltitel: Surfaces and Essences: Analogy as the Fuel and Fire of Thinking.

analogie„Es geht darum, wie wir die Welt wahrnehmen, wie wir Begriffe bilden, wie wir verstehen und wie wir kommunizieren, kurz: um die große Frage, was Denken eigentlich ist.“

Wir sehen sie nicht, wir merken nicht wenn wir sie benutzen, wir bemerken nicht wenn wir sie bilden – sie sind einfach da und es werden immer mehr: Analogien. Sie sind wie die Luft, die wir atmen. Wir saugen sie unbewusst ein, lassen sie in unsere Lungen und Zellen fließen. Ab und zu atmen wir tief durch oder sind in Atemnot, aber meistens schenken wir unserem Atem keine Aufmerksamkeit. Mit dem Denken ist es ähnlich – es ist schwer nichts zu denken, das wissen alle die es während einer Meditation versuchen oder in Ruhe einschlafen oder einfach mal abschalten wollen. Das Gehirn lässt sich nicht abschalten. Das Atmen lässt sich nicht verhindern. Mit dem Denken verhält es sich ebenso. Es passiert einfach – und nach Hofstaedter und Sander ist der Schlüsselmechanismus dazu die Bildung von Analogien.

einsicht_ichDie Beweisführung für diese These findet auf sagenhaften 783 Seiten statt. Auch wenn ich als Liebhaberin dicker Wälzer prädestiniert bin dieses Buch zu lesen, war ich nicht darauf vorbereitet, wie spannend es ist. Zu alledem bin ich auch noch positiv voreingestimmt von meiner Lektüre des Hofstaedter/Dennett Buchs Einsicht ins Ich vor 30 Jahren … wirklich. Haben die Autoren mich damals in der Frühphase der Neurowissenschaften überzeugt, dass ich nicht mein Gehirn bin –  mit diesem Buch über die Analogie haben sie wieder eine Tür geöffnet … Schlüsselmechanismus eben.

Spannung

Was ist so spannend? Für mich gibt es eine ganz klare Antwort: Das Offensichtliche zu erkennen. Den Zaubertrick zu enttarnen. Die Genialität des Denkens nachzuvollziehen. Denn spüren konnte ich das auch vorher: „dieses unablässige mentale Funkeln“, das ein „Spektrum abdeckt, das von der bodenständigsten Identifizierung eines Dings („das ist ein Tisch“) bis zu den gewagtesten Höhenflügen des menschlichen Geists (Albert Einsteins Relativitätstheorie) reicht.“ Wir tun es einfach immer und ständig. „Analogien ereignen sich in unserem Kopf nicht lediglich einmal pro Woche, einmal pro Tag, pro Stunde oder einmal pro Minute; nein, mehrmals pro Sekunde schießen sie in unserem Denken hoch. Wir schwimmen ununterbrochen in einem Meer kleiner, mittelgroßer und großer Analogien, die von täglichen Trivialitäten bis hin zu brillanten Einsichten reichen.“

Spiel

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Emmanuel Sander, Douglas Hofstaedter

Die spielerische Art und Weise der Beweisführung. Hofstaedter/Sander haben Geschichten gesammelt, hunderte von Situationen, tausende von Redewendungen, Sprichwörtern und sprachlichen Bildern, die alle, die sich wie ich, mit Sprache beschäftigen, in wahre Begeisterungsstürme ausbrechen lassen. Dann liefern die Autoren ihren aufmerksamen Leserinnen quasi als Beigabe auch noch eine umfangreiche Sammlung von Versprechern mitsamt den Erklärungen, wo sie herrühren. Akribisch setzen sie Stein auf Stein, bis aus dem gedanklichen Gebäude ein Palast an Vorstellungskraft gewachsen ist.

Spaß

Besondere Freude macht der begnadete Gebrauch von Sprache (hiermit teile ich die Hochachtung und den Respekt der Autoren für die wunderbare Übersetzung ins Deutsche). Als Leserin dieses Buchs fühle ich eine ähnliche Befriedigung über die Präzision und Millimeterarbeit wie ein Schweizer Uhrmacher beim Anblick eines mechanischen Uhrwerks. Die Sätze sind perfekt formuliert, die Begriffe und Wörter von höchster Treffsicherheit und die Vielfalt der sprachlichen Variation ein Fest für das Sprachvermögen. Außerdem ist der Spaß der Autoren ansteckend: Wie sie bis ins Kleinste Albert Einsteins Analogiebildung nachzeichnen und dabei ihrem jungenhaften Eifer erliegen – mir gefällt das.

Das menschliche Gehirn denkt abstrakt

Neben dem konkreten Denken erlaubt uns die „sehr ausgeprägte Neigung zur Abstraktion eine Situation darzustellen, indem wir Wörter benutzen, die sich auf Dinge beziehen, die oberflächlich betrachtet nichts miteinander zu tun haben.“ Zum Beispiel liegt der Gedanke bei „Ingrid hat nicht mehr alle Tassen im Schrank“ oder „ihre Zweierbeziehung geht den Bach runter“ auf „einer so hohen Abstraktionsebene, dass kaum jemand sich tatsächlich vorstellen wird, dass in irgendeinem Schrank ein paar Tassen fehlen oder irgendetwas einen Bach heruntertreibt“.

Das menschliche Gehirn denkt effizient

„Genau wie wir froh darüber sind, dass wir bei unseren Mitmenschen nicht Adern, Gedärm, Gehirn und andere innere Organe sehen, so wollen wir auch nicht ständig an die zahllosen Details im Inneren der Dinge denken müssen, mit denen wir es zu tun haben. Wir wollen, dass unsere Augen geschlossen sind, damit wir besser sehen. Mit einem Wort, um den Wald klar erkennen zu können, wünschen wir, von Blick auf die Bäume verschont zu werden.“

Das menschliche Gehirn ist eine Analogie-Maschine

.. ein Verbindungs-Hersteller, ein Beziehungs-Pfleger. Eine sehr große Anzahl („Myriaden“) sehr unterschiedlicher und komplexer vergangener, gegenwärtiger, zukünftiger, hypothetischer Situationen verbindet es durch Analogien. In unserer digitalen Welt ist es dem Computer in dieser Hinsicht weit überlegen.

Bewundernswert. Lesenswert. Kultverdächtig. Fünf Sterne.

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