Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Dieses Sprichwort gibt es in sehr vielen Sprachen und Ländern. Es scheint sich um eine weitläufige Übereinstimmung zu handeln, dass es in manchen Situationen besser ist, nichts zu sagen, also zu schweigen.
Ich stimme zu – aber nur bedingt.
Reden ist orale Lautbildung
Das klingt wie ein körperliches Leiden. Was ist reden? Und warum heißt es reden und nicht sprechen? Gibt es einen Unterschied? Reden kommt lexikalisch linguistisch auf einem niedrigen Niveau daher: „Alles, was jemand sagt oder schreibt, unabhängig von Länge, Inhalt, Form, Funktion und Adressat ist Rede.“ Ich mache von einem kollektiven Zeichensystem Gebrauch, um mich zu verständigen. Ich forme aus Lauten Wörter und aus Wörtern Sätze. Reden ist also das, was fast von selbst geschieht. Es blubbert dann so aus mir heraus.
Schweigen ist besser als reden
In diesem low level Szenario ist Schweigen dem Reden vorzuziehen. Daher kommt bestimmt auch das Sprichwort. Die reine Rede ist ohne Bedeutung – sie dient der Verständigung, trägt aber keine sprachliche Relevanz in sich. Anstatt also unnützes Zeug zu reden, schweige ich lieber.
Sprechen ist mehr
Einen Zusatz wie Sprechen ist Platin oder so ähnlich gibt es nicht. Ich habe gefunden: Denken ist Dynamit. Potentiell könnte das stimmen. Verbleibt es im Denken, ist es allerdings ungezündet. Zünden kann nur Sprache. Sprechen und Schreiben scheinen mir sehr ähnlich zu sein. Ich ringe um den richtigen Ausdruck, ich schleppe mich durch Wüsten von Vokabeln und reise durch die Bibliotheken und Geschichten dieser Welt. Ich finde das Wort, ich formuliere den Satz und meine Sprache versetzt Berge. Nicht meine – aber zum Beispiel die Sprache einiger Schriftsteller/innen, Wissenschaftler/innen und Verkäufer/innen. Sie schwimmen in ihrem Element wie ein Fisch im Wasser. Sprechen und vor allem miteinander sprechen ist mehr als Gold und Silber. Das lässt das Sprichwort leider außen vor.
Das Sprichwort vernachlässigt auch, dass Sprechen wichtiger ist als Verhalten. Auf das Verhalten kommt es gar nicht an. Verhalten verdirbt alles. Vor allem Atmosphären. Eine gute Atmosphäre kann ich nur mit Sprache schaffen, nicht mit Kerzen und Blumen oder dem Duft nach grünem Tee.
Idealerweise würde ich so sprechen wie ich schreibe. Wohltemperiert, manchmal leicht provozierend, aber nur um auszutesten, wie weit ich mich vorwagen kann, ohne meine Gesprächspartnerin zu verlieren. Es ist wie Fliegenfischen: Mit elegantem Schwung werfe ich meine Angel aus uns noch bevor die Fliege das Wasser berührt, lenkt sie der nächste Schwung schon wieder in die Luft, knapp über die Wasseroberfläche, so wie echte Fliegen das tun. Der Fisch beißt an. Er bahnt sich dafür sogar seinen Weg aus dem Wasser. Ich möchte, dass meine Gesprächspartner/innen anbeißen, dass meine Leser/innen weiterlesen. Das schaffe ich nicht immer.
Schweigen ist Silber, Sprechen ist Gold.
Wenn es nach mir ginge, würde ich das Sprichwort umformulieren in: Schweigen ist Silber, Sprechen ist Gold.
Einige Male in öffentlichen Reden und Ansprachen verwendet, würde sich Schweigen ist Silber, Sprechen ist Gold allmählich in den Köpfen festsetzen und in vielleicht hundert Jahren Reden ist Silber, Schweigen ist Gold endgültig ablösen.