Creative Writing und Speech sind reguläre Schulfächer an den amerikanischen High-Schools. Bei uns (in Deutschland, in Europa) gibt es Drehbuchschreiben schon mal als AG und die freie Rede hat in der Regel keinen Wert an sich, sie heißt Referat und ist nicht besonders beliebt. Was wir hier oft als Ausnahmetalent wahrnehmen – eine Wissenschaftlerin, die spannend von ihrem Forschungsgegenstand erzählt z.B. warum Menschen eigentlich Schlaf brauchen – gilt in den USA als Teil der professionellen Darstellung und ist entsprechend ins Bildungssystem integriert. In Deutschland hat alles, was sich leicht und unterhaltsam anhört, den Ruch des Unseriösen.
Gute Vorträge
Gute Vorträge werden immer noch an der Informations- und Foliendichte sowie am Überschreitungsgrad der vorgegebenen Zeit gemessen – zumindest von denen, die sie halten – ohne Rücksicht auf ihr Publikum. Ich meine damit nicht wissenschaftliche Vorträge in einem wissenschaftlichen Kolloqium. Zahllose Vorträge, die auf wissenschaftlichen Daten beruhen, werden einem Publikum vorgetragen, das eigentlich nur gekommen ist, weil es die Ergebnisse und noch ein wenig Herleitung und Hintergrund erfahren möchte. Vor allem will das Publikum unterhalten werden und etwas mit nach Hause nehmen, was es seinen Lieben erzählen kann. Die meisten kehren jahrelang mit leeren Händen zurück. Die Kunst des Erzählens treibt hier erst zarte Blüten.
Merkt jemand, dass ich wie eine Katze um den heißen Brei schleiche? Bis jetzt habe ich den Terminus technicus nicht benutzt. Meine Überschrift heißt die Kunst des Erzählens, es geht um Vortrag, Referat, Publikum und mangelnde Unterhaltung. Aber in Wirklichkeit geht es um Storytelling.
Storytelling
Deutschland, das Land der Dichter und Denker, kennt Storytelling nur aus Büchern und kaum fällt der Begriff in der Arbeitswelt, wird sofort die Schublade der Märchen und Fabeln aufgemacht und geschaut, ob dieses Storytelling da hinein passt. Als Methode der Darstellung von ernsthaften Inhalten wird es vereinzelt in Erwägung gezogen. Werbung und Marketing arbeiten allerdings auf Hochtouren damit. Achten Sie mal darauf, wie oft zurzeit das Wort Geschichten in der Fernsehwerbung fällt.
Die deutsche und englische Literatur über Storytelling unterscheidet sich deutlich voneinander. Während die US-amerikanischen Bücher den emotionalen Part in den Vordergrund stellen, fokussieren die deutschsprachigen auf das Handwerk. Das spiegelt sehr anschaulich die unterschiedliche Herangehensweise der beiden Kulturen an ein (akademisches) Thema.
Die Bücher werden von den Verlagen für eine breite Leser/innenschaft auf den Markt gebracht, wobei die deutschen aufgrund ihrer sachlich nüchternen Aufmachung eher Fachleute ansprechen, die sich beruflich mit dem Thema beschäftigen (müssen). Im Mittelpunkt stehen immer handwerkliche Fragen: Wie finde ich mein Thema, wie baue ich eine Geschichte, wie entwickle ich eine Figur?
Die amerikanischen hingegen setzen ihre Erkenntnis aus den Ergebnissen bereits als Marketing ein – und da stehen ganz irrationale Sachen im Vordergrund: Verzaubere dein Publikum! Ziehe deine Leser/innen in den Bann! Erzähle eine spannende Geschichte! Sie sagen auch wie das funktionieren kann.
10 : 90
Beide wissen: Eine handwerklich gut gebaute Geschichte ist nicht automatisch auch spannend oder bezaubernd. Um die in der Geschichte enthaltenen Informationen beim Publikum nachhaltig zu verankern, braucht es mehr als einen sauber konstruierten Spannungsbogen und die Abarbeitung sprachwissenschaftlicher Instrumente und rhetorischer Stilmittel. Beide gehen davon aus, dass 90 Prozent Handwerk ist und 10 Prozent „Genie“, „Kunst“ oder „Talent“. 90 Prozent mögen statistisch betrachtet ein ausreichendes Maß an Garantie für eine gute Geschichte sein, tatsächlich sind es wohl aber die 10 Prozent, die den Ausschlag zum Bestseller oder Blockbuster geben. Während die deutschen Autor/innen daran feilen, das Handwerk zu perfektionieren, appellieren die amerikanischen an das Genie in jedem von uns nach der Devise „trau dich“.
Der Neurolink
Beide kennen: den neurowissenschaftlichen link zum Storytelling. Die Gehirnforschung hat festgestellt, dass beim Komponieren von Musik und beim Dichten von Sprache die gleichen Netzwerke aktiv sind. Für den Outcome hat das noch keine qualitative Bedeutung. Man weiß aber auch, dass beim Hören von Musik und beim Zuhören oder Lesen von Geschichten ebenfalls die gleichen Netzwerke aktiv sind. Und diese Erkenntnis hat Folgen: Unser emotionales Empfinden wird dort angeregt. Den Gänsehauteffekt, Tränen in den Augen und das beklemmende Gefühl im Magen kennen wir alle – sowohl bei Musik als auch beim Lesen.
Die (Text-) Methode Storytelling in Deutschland etabliert sich gerade erst – vor allem im Marketing. Die aktuelle Entwicklung geht weg von der Selbstdarstellung von Unternehmen/Organisationen hin zu Expertenwissen, von Produktinformationen hin zu Praxisanleitungen, von Referenzen hin zu Fallstudien und schlägt damit den Weg ein zur zielgruppenorientierten Service-Kommunikation. Im unternehmerischen Marketing heißt das Content Marketing. Eine einzige größere Konferenz zu diesem Thema gab es Anfang 2014 in Köln, die nächste findet im März 2015 statt.
Meiner Meinung nach hat es Storytelling verdient, sich überall dort zu etablieren wo Vorträge gehalten werden. Sogar in Universitäten. Aber vor allem in Konferenzen, Fachtagungen und Workshops, die vom Austausch untereinander und von der Verbindung miteinander leben. Von denen man etwas nach Hause bringen möchte. Eine gute Geschichte. The Amazing German ist übrigens Lothar Meggendorfer. Schon einmal von ihm gehört?
The Amazing German Lothar Meggendorfer: TED-Talker Joe Sabia: The technology of storytelling introducing Lothar Meggendorfer. (lohnt sich: dieser Talk ist zwar auf Englisch dauert aber nur knapp 4 Minuten), (2011).
weitere Quellen:
- The Power of visual storytelling: How to use Visuals, Videoas, and Social Media o Market your Brand, Ekaterina Walter, Jessica Gioglio (2014)
- Stories that move Mountains: Storytelling and Visual Design for Persuasive Presentations, Martin Sykes, Nick Malik, Mark D. West (2012)
- Storytelling and the Sciences of Mind, David Herman (2013)
- Warum das Gehirn Geschichten liebt. Mit den Erkenntnissen der Neurowissenschaften zu zielgruppenorientiertem Marketing. Werner T. Fuchs (2013)